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Löwendenkmal

Der Wohlstand Luzerns basiert zu grossen Teilen auf dem Söldnerhandel weniger Patrizierfamilien mit kolonialen Grossmächten.

Im Löwendenkmal kommt sowohl der koloniale als auch der postkoloniale Profitapparat Luzerns zur Erscheinung. Einst zu Ehren der Verteidiger von Ständegesellschaft und Kolonialregimes gemeisselt, ist es heute für Millionen von Tourist:innen ein Sujet für nostalgische Tragik mit adligem Glanz. 


Der Wohlstand Luzerns basiert zu grossen Teilen auf dem Söldnerhandel weniger Patrizierfamilien mit kolonialen Grossmächten. Zwar dienten nach bisherigem Forschungsstand bis ins 19. Jahrhundert nur sehr wenige Luzerner Söldner in Kolonien. Aber das Kapital, mit dem die europäischen Grossmächte die Militärunternehmen Luzerner Familien wie Pfyffer, am Rhyn, Segesser, von Sonnenberg oder von Schumacher bezahlte, entsprang massgeblich der kolonialen Raubwirtschaft. Ausserdem nutzten diese Familien ihr Netzwerk in die höchsten Kreise Europas für andere lukrative Handelsbeziehungen. Zahlreiche repräsentative Häuser der Alt- und Neustadt konnten erst dadurch überhaupt finanziert und gebaut werden. 

Am prominentesten für den Söldnerhandel steht das meistbesuchte Denkmal Luzerns: das Löwendenkmal. Die Söldner, die es ehrt starben beim Tuileriensturm 1792. Als Leibwache der Königsfamilie Frankreichs taten sie gegen die französische Bürgerrevolution ihre leidige Pflicht. Die Niederlage markierte einen wichtigen Punkt im Sturz der französischen Monarchie und auf dem Weg in die Republik. 

Für die die Luzerner Militärunternehmen fand das jahrhundertealte Geschäft mit dem Krieg nach einem schon länger sich anbahnenden Niedergang bald sein Ende. Karl Pfyffer aber – ein konservativer Sprössling der wichtigsten Luzerner Patrizierfamilie – trotzte diesem Niedergang und liess seine familiäre Vergangenheit heldenhaft inszenieren. Bald initiierte er die Schaffung eines monumentalen Denkmals, welches die einstige Grösse und das «tragische» Ende der Patrizierfamilien sowie aber auch einen bürgerlichen Nationalismus in glorreicher Pose verewigen soll: Für «alle, die das Vaterland lieben», wie Pfyffer in seinem Spendenaufruf anmerkte. Das heroische Zeichen besteht im Sujet des Löwen – dem Symbol schlechthin für militärische Tugenden wie Stärke und Tapferkeit –, das «tragische» Zeichen besteht im Festhalten des Moments kurz vor dem Sterben – noch am Leben, aber unausweichlich dem Tod ausgeliefert. 

Trotz heftiger Kritik am Denkmal seit seiner Entstehung 1821 hielt die Stadt unter anderem aus tourismuswirtschaftlichem Kalkül daran fest. Denn spätestens mit der Gründung des liberalen Bundesstaats 1848 drängte sich für das konservativ-katholische Luzern ein wirtschaftlicher Strategiewechsel auf. Und die Regierung entschied sich gegen eine Industrie- und für eine Tourismusstadt. Das Potential des Löwendenkmals wurde früh erkannt. Das Wasserbecken und der englische Garten sollten das romantische Bedürfnis des konservativen Bildungsbürgertums nach der Idylle bedienen. Mit Erfolg. Bereits im Verlauf des 19. Jh. fanden viele ihren nostalgischen Gefallen am «traurigsten und bewegendsten Stück Stein der Welt» (Mark Twain). Die Anziehungskraft für bürgerlich-konservativ bis reaktionär-rassistische Gruppen bestätigte sich immer wieder. Beispielsweise diente das Löwendenkmal als Vorblid einer Konföderierten-Statue in Atlanta oder war in den 1940er-Jahren Treffpunkt rechtsextrem-identitärer Bewegungen. Dagegen legte die Stadt grossen Wert darauf, das Denkmal zu «entpolitisieren». Die mittlerweile enormen Besucherzahlen – knapp 1.5 Millionen Menschen besuchen das Denkmal jährlich – erlauben ja auch nicht das kleinste touristische Risiko. «Entpolitisierung» meint hier aber natürlich nur die Entfernung allzu expliziter Botschaften. Das Denkmal dient nach wie vor einem konservativen Identitätsangebot zu. So noch 2022 bei Stadtpräsident Beat Züsli (SP) zu lesen, wenn er schreibt, der Wert des Löwen bestehe darin, dass er «Teil von uns Luzernerinnen und Luzernern» sei.

Das Denkmal ist also längst Teil der touristischen Industrie Luzerns. Darin verschob sich seine Bedeutung. Von dem Erbe des Söldnerhandels und der reaktionär-antidemokratischen Inszenierung bleibt nur eine diffuse Spur einer vergangenen Grösse zurück. So tritt der Löwe in erster Linie als einzigartiges Sujet alteuropäischer Kunstfertigkeit und Hochkultur in Erscheinung. Damit erklärt sich der Massenauflauf an Besucher:innen und die unentwegte (Selbst-)Knipserei. Das Denkmal ist durch seine globale Bekanntheit zum Statussymbol für eine globale Mittelschicht geworden, die mit ihm ihr (neugewonnenes) finanzielles Kapital in kulturelles Kapital überführt. Ein Foto mit dem Löwen auf Social Media – und zack!, schon hat man sich in die Kreise eines mittelhohen Bildungsbürgertums gepostet. Darin besteht dann auch die postkoloniale Bedeutung des Löwen: Als Teil eines global verstrickten Tourismusapparats «arbeitet» es ständig an einer globalen Hierarchie der Zivilisationsgrade, indem es selber eine mittelhohe Position einnimmt: massentaugliche Romantik-Nostalgie mit hochkulturell-adligem Touch (dasselbe liesse sich wohl für die gesamte Tourismusbranche Luzerns geltend machen).

Oder mit anderen Worten: Wäre das Löwendenkmal tatsächlich als Söldnerdenkmal inszeniert, also als Denkmal für die ausgebeutete, zumeist ländliche Unterschicht, die für den Profit von wenigen Patrizierfamilien emigrierten und im Ernstfall mit ihrem Leben bezahlten, nostalgie- und identitätsfrei, dann würden viele der Besucher:innen ob dem sterbenden Löwen wohl verwirrt stehenbleiben, weil sie sich auf dem Weg zur Hofkirche grausam verlaufen haben.

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