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Wenige Vorbemerkungen zum Glossar

Ein Glossar ist toll! Es führt Fachbegriffe ein, ergänzt Informationen der Artikel und lädt zum Stöbern ein. So sollte es auch benutzt werden: als praktisches Instrument, das die sprachlich herausfordernde, postkoloniale Welt einen Moment innehalten lässt und darin Übersicht schafft. So lässt sich auch die Gefahr eines Glossars spielend umgehen: Es kann den Eindruck erwecken, hier wird ein für allemal und für jeden Kontext festgelegt, welcher Begriff wie zu gebrauchen sei. Aber so einfach ist es nicht (Infos dazu, warum das so ist, findest du unter «Positivismus»). Ein Glossar gibt dir Richtlinien vor, nimmt dir aber weder die Denk- noch die Diskussionsarbeit ab.  Auch in unserer Redaktion geben so manche Begriffe Anlass zur Diskussion, und was sich eigentlich von selbst versteht, sei hier dennoch betont: Das Glossar ist unabgeschlossen und vorläufig, Bezeichnungen können je nach Kontext variieren. Profitieren konnten wir von der tollen Vorarbeit unserer Kolleg:innen aus Freiburg von «Colonial Local» und den Grundlagen für eine rassismuskritische Schulkultur auf von «No To Racism». Beide Adressen sind einen Besuch wert: www.colonial-local.ch und www.notoracism.ch.

ABC

Alltagsrassismus
Der Begriff «Alltagsrassismus» verweist darauf, dass es nicht nur offensichtlich hetzerischen und aggressiven Rassismus gibt, gegen den sich die Mehrheitsgesellschaft mit Hinweis auf strafrechtliche Regelung abgrenzt. Es gibt auch einen verdeckten, subtilen oder salonfähigen Rassismus, weil Menschen, die sich in kollektive Identitäten versteifen, das «Andere» als etwas Minderwertiges brauchen, um sich ihrer selber zu vergewissern. So wachsen die meisten in Gesellschaften auf, in denen Beschreibungen und Verhaltensweisen als normal gelten, die gewisse Menschen diskriminieren. Alltagsrassismus tritt meist in scheinbar harmlosen Witzen, Gesprächen, Blicken, Handlungen auf. Er bezieht sich auf Stereotype und Essenzialisierung eines «Anderen», wenn also eine Einzelperson anhand einer wie auch immer vorgestellten «kollektiven Identität» abgewertet wird. Rassifizierte Menschen betonen oft, dass Alltagsrassismus für sie nicht weniger verletzend ist, als offen rassistische Beleidigungen. Für Menschen, die nicht davon betroffen sind, bleibt er hingegen oft unbemerkt.
Anti-Schwarzen-Rassismus
Rassismus gegenüber Schwarzen ist eine spezifische Form des Rassismus (wie auch Islamfeindlichkeit oder Antisemitismus), da er über eine einzigartige historische Dimension verfügt. Frühe explizite Diskriminierungen und Stigmatisierungen finden sich unter anderem in der Bibel. Der eigentliche Anti-Schwarzen-Rassismus ging aber aus der Abschaffung der Sklaverei hervor. Die Schwarze Sklavenklasse der frühkapitalistischen Plantagenwirtschaft wurde ins Proletariat der Neuen Welt eingegliedert, aber als «andere» zur «weissen» Kultur abgegrenzt. Gestützt wurde diese rassifizierte Klassengesellschaft von damals als wissenschaftlich geltenden, biologischen Erkenntnissen; beispielsweise in der Phrenologie, einer (Pseudo-)Wissenschaft, die davon ausging, dass die Form des Kopfes den «Charakter» einer Person verrät. Einige Vertreter der Phrenologie wollten darin die Überlegenheit der «weissen Rasse» bestätigt sehen. Für die Plantagenbesitzer hatte dies den willkommenen Effekt, dass der Gründungsmythos der amerikanischen Siedler nicht angerührt wurde und Bündnisse unter den Ausgebeuteten erschwert wurden.
Antikolonialismus
Antikolonialismus umfasst jegliche Art von Widerstand gegen Kolonialismus, koloniale Politik und koloniale Praktiken. Dieser kann von einer formulierten Kritik bis zum bewaffneten Kampf reichen.

DEFG

Dekolonisation
Dekolonisation benennt einen umfassenden Prozess der Auflösung kolonialer Verhältnisse und Episteme in allen Bereichen (z. B. Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft). Im engeren Sinn bezeichnet er den staatsrechtlichen Moment bzw. die geschichtliche Epoche der Unabhängigkeitsbestrebungen ehemaliger Kolonien. Analysen der postkolonialen Gesellschaften zeigen jedoch deutlich, dass dieser Prozess noch keineswegs abgeschlossen ist. Dekoloniale Aktivitäten haben nichts an Aktualität eingebüsst.
Essenzialisierung
Essenzialisierung bezeichnet hier den kulturellen (sprachlichen) Prozess, der einer individuellen oder kollektiven Identität eine Essenz zuspricht, und diese damit absolut ab- und einschliesst. Die Essenz ist das unveränderliche, vermeintlich «wahre Wesen» einer Person oder einer Gruppe. Identität wird so ihrer Eigenschaft beraubt, dynamisch, widersprüchlich, temporär, kurz: frei zu sein. Rassismus ist eine Art, einer kollektiven Identität eine Essenz zuzuweisen, um diese als minderwertig festzuschreiben. Essenzialisierung kann so als kulturelle Bedingung von Rassismus verstanden werden.
Eurozentrismus
Der Begriff Eurozentrismus benennt eine Perspektive, die nichteuropäische Gesellschaften unter der Vorannahme bewertet, dass sich die westlichen Gesellschaften (Europa, Nordamerika) in ihrer Entwicklung – oft unter dem Stichwort der Zivilisation gefasst – in einem begehrenswerten und anzustrebenden Zustand befinden. Jede nichteuropäische Gesellschaft wird so explizit oder implizit abgewertet. Im umgekehrten Fall geht die scheinbar positive Wertung oft mit einer Romantisierung und Exotisierung der nichteuropäischen Gesellschaften einher, beispielsweise in einer romantisierten Darstellung der Naturverbundenheit.
Exotismus /Exotisierung
Exotismus bezeichnet ein Bündel an sprachlichen und epistemischen Projektionen eigener Entfremdung in ein «Anderes», das nicht als Teil der eigenen Zivilisation wahrgenommen wird. Eine der wichtigsten Projektionen ist die romantisierte Naturverbundenheit von Gesellschaften des globalen Südens. Per «Othering» wird eine zivilisatorische Differenz zwischen globalem Norden und Süden behauptet, worin die Entfremdung zur Natur in der bürgerlich-kapitalistischen Zivilisation in ihr Gegenteil verkehrt und vermeintlich besonders unverdorbenen, naturverbundenen «Völkern» zugeschrieben wird. Die historisch wohl prägendste Figur ist der «edle Wilde». Andere zentrale Projektionen sind die Verkehrung der bürgerlichen Prüderie in die Schwarze Frau als Naturschönheit sowie die sexuelle Potenz und Triebhaftigkeit des «Anderen». Eine solche Exotisierung kehrt heute - als negative Projektion - unter anderem in der rassistischen Hetze gegen Geflüchtete wieder. Unter der pseudofeministischen Vorgabe, weisse Frauen vor sexuellen Übergriffen zu schützen, wird gegen vermeintlich triebgesteuerte Nicht-Europäer und für repressive Migrationspraxis Stimmung gemacht.
«farbig»
«Farbig» ist eine unzutreffende, koloniale und abwertende Bezeichnung, die eng mit der Geschichte der Rassentrennung verbunden ist. Der Begriff konstruiert eine Differenz zwischen einem normalen «Weiss» und einem davon abweichenden «Farbig». Die Macht der Norm besteht darin, dass sie nicht explizit bezeichnet werden muss. Sie entsteht implizit durch die Bezeichnung des Abweichenden. Aus dem anglo-amerikanischen Raum verbreiteten sich für Menschen, die gemeinsame, rassistische Erfahrungen teilen, die Bezeichnungen PoC (People of Color), BPoC (Black and People of Color) und BIPoC (Black, Indigenous and People of Color).
Globaler Süden
Der «Globale Süden» ist ein Begriff, der koloniale und postkoloniale Verhältnisse geografisch zu fassen versucht. Bis heute bestehen zwischen Ländern des globalen Südens und des globalen Nordens Verhältnisse, welche koloniale Abhängigkeiten und Privilegien verfestigen. Die pauschale Aufteilung in Norden und Süden ist eine Vereinfachung spezifischer Dynamiken zwischen einzelnen Staaten und Akteuren. Nur schon am Beispiel Südafrika liesse sich zeigen, dass die Bruchlinien kolonialer Abhängigkeiten mit der pauschalen Nord-Süd-Aufteilung nicht haltbar ist. Die Vereinfachung wird aber dadurch relativiert, dass der Begriff die Globalisierung der kapitalistischen Produktionsweise mit ihren Zentren und Peripherien betont, die überall nach vergleichbarer Logik Gesellschaftsverhältnisse installiert und festigt. Während der Begriff also für geografisch und zeitlich weitreichende Aussagen durchaus nützlich ist, muss er im Einzelfall auf seine Angemessenheit geprüft werden.

HIJK

Hautfarbe

Hautfarbe drückt gleichzeitig phänotypische (oberflächlich wahrnehmbare), symbolische und politische Kategorien aus. In einer postkolonialen Debatte spielen alle Kategorien eine Rolle: Besonders wichtig, aber oft auch schwierig ist das Verständnis von Bezeichnungen wie «weiss», «braun», «schwarz», «rot» und «gelb» als symbolische Kategorien (nicht phänotypische). Um zu betonen, dass es sich bei diesen «Hautfarben» nicht um phänotypische, sondern um symbolische und politische Kategorisierungen handelt, kann «weiss» kursiv, und das Adjektiv «Schwarz» gross geschrieben werden. Rassifizierung, die auf phänotypischen Merkmalen beruht, wird als Essenzialisierung kritisiert. Postkolonialismus betont eine spezifische Form der rassistischen Hegemonie: nämlich eine spezifisch «weisse», die historisch auf die koloniale Expansion und die Plantagenwirtschaft zurückgeht. Der emanzipatorische Kampf von kollektiven Identitäten will wesentliche Merkmale der kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft ändern. Dort erzielt er eine politische Wirkung. Schliesslich spielt Hautfarbe in der Konsumgesellschaft eine zentrale Rolle. Die Bewerbungen bestimmter Produkte markieren (heute noch) weisse Haut als rein und normal, während dunkler pigmentiere Haut implizit oder explizit abweichend, schmutzig oder unrein ist.

Heidnisch

Als «heidnisch» wurden aus christlicher Perspektive Menschen bezeichnet, die nicht einer monotheistischen Religion angehörten. Der Begriff war immer abwertend. «Heidnische» Menschen galten als «primitiv», «wild» und «unzivilisiert».

Imperialismus

Der Begriff bezeichnet die Politik und Praxis kapitalistischer Staaten, ihren Herrschafts- und Machtbereich immer mehr auszuweiten. Dies kann politische, militärische und/oder wirtschaftliche Kontrolle über Regionen und Bevölkerungsgruppen einschliessen.

Kapitalismus

Kapitalismus benennt ein ökonomisches System, das auf Ausbeutung der Arbeitskraft zwecks Akkumulation von Kapital beruht. Kapitalismus bringt eine Klassengesellschaft hervor, grundsätzlich die Klasse derjenigen, die den Mehrwert der ausgebeuteten Arbeitskräfte abschöpfen und die Klasse derjenigen, deren Arbeitskraft ausgebeutet wird. Die Struktur dieser Klassen reproduziert und stabilisiert sich selber, da die Mittel (Geld, Zeit, Kontakte usw.), um ein Interesse durchzusetzen, extrem ungleich verteilt sind. Auch Kolonialismus bedeutet im Kern die globale Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise europäischer Prägung. Das Argument ist naheliegend, dass gewisse Teile des Kolonialismus, die bis heute andauern - also das, was wir unter Postkolonialismus verstehen -, ihre Stabilität aus der unverändert kapitalistischen Produktionsweise ziehen. Die Stabilität der Klassen sorgt für die zähe Kontinuität kolonialer Episteme.

Kollektive Identität

«Kollektive Identität» meint eine gemeinsam konstruierte «Wir-Identität» – eine Gruppe definiert sich über bestimmte gemeinsame Eigenschaften, die sie vermeintlich von anderen Gruppen unterscheidet. Sie wirkt nach innen verbindend und nach aussen abgrenzend. Für den Postkolonialismus besonders prominent ist die Auffassung von Gayatri Spivak, die die Berufung auf kollektive Identitäten als temporäre Mittel emanzipatorischer Bewegungen begrüsst, solange sie eben nicht selber Identität essenzialisieren. Das Ziel, für das kollektive Identitäten ein Mittel sein können, ist der freie Mensch, nicht eine verschärfte Einteilung der Gesellschaft in einzelne Gruppen.

Koloniale Sammlungen

Viele Museen in Europa entstanden zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert – einem Zeitraum, der stark von kolonialer und imperialer Expansion geprägt war. Aus den Kolonien brachten Europäer:innen Objekte, Kunst, ausgestopfte Tiere aber auch historische Gebeine in die Heimat, wo sie von Wissenschaftler:innen studiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Die Bedingungen, wie diese Objekte in den Besitz von Kolonisatoren, Wissenschaftler:innen, Reisenden oder Missionaren gelangten, waren unterschiedlich. Manchmal wurde gehandelt, teilweise waren es jedoch Kriegstrophäen. Diese Sammlungen befinden sich grösstenteils nach wie vor in europäischen Institutionen. In jeder Diskussion um die Ausstellung oder Rückführung geraubter Artefakte sollte das Argument mitbedacht werden, dass Museen selber stark kolonial geprägte Institutionen sind.

Kolonialismus

Das lateinische Wort «colonia» bedeutet Niederlassung: Als Kolonialismus wird die Politik der Inbesitznahme ferner Gebiete verstanden. Historisch unvergleichlich bedeutsam war der Kolonialismus europäischer Mächte zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Auslöser dieses Kolonialismus waren die hohen Profite, die mit Gewürzen, Farbstoffen, Gold und Sklaverei erzielt werden konnten. Handelsmonopole in der vor allem innereuropäischen, aber auch aussereuropäischen Konkurrenz musste durch die Erschliessung und Beherrschung neuer Gebiete sichergestellt werden. Der Archipel an Häfen, Produktionsstätten und militärischen Anlagen bildet bis heute die Grundlage für die Beherrschung des globalen Handels. Des Weiteren führte die zunehmend kapitalistische Produktionsweise und die imperiale Kriegswirtschaft in Europa zu einer massenhaften Verelendung. Die Kolonien wurden als willkommene Emigrationsorte angesehen. Innenpolitisch konnten so systemische Probleme durch Expansion bewältigt, oder jedenfalls abgemildert werden.

QRST

«Rasse» / race

Das Begriffspaar «Rasse» / race bezeichnet eine Kategorisierung von Menschengruppen. Der deutsche Begriff «Rasse» ist historisch belastet durch die (pseudo-)wissenschaftliche und volkspsychologische Herleitung sozialer und individueller Eigenschaften (Intelligenz, Grad an Zivilisation usw.) anhand biologischer Merkmale (Hautfarbe, Schädelform, Augenfarbe usw.). Die Hierarchie zwischen den Gruppen basiert auf einer eurozentrischen Perspektive. Das bedeutet, dass der Massstab, mit dem ohnehin konstruierte Faktoren wie der «Zivilisierungsgrad» miteinander verglichen werden, die europäisch-westlichen Gesellschaften als Idealzustand voraussetzt. Der Begriff «Rasse» muss mit entsprechender Vorsicht behandelt werden. Oft steht er in Anführungszeichen. Der englische Begriff race bezieht sich gerade nicht auf biologische Grundlagen, sondern macht die soziale Konstruktion von Gruppen transparent. Race ist ein soziologischer Faktor, um systematische Formen der Diskriminierung zu analysieren und erklären.

Rassifizierung / rassifiziert

Rassifizierung bezeichnet einen Prozess , der Menschen nach rassistischen Merkmalen kategorisiert, stereotypisiert und hierarchisiert. Der Begriff «Rassifizierung» betont (ähnlich wie das englische race), dass es sich um symbolische Kategorien handelt, diese aber reale Auswirkungen haben, nämlich rassistische Diskriminierung. Rassifiziert wird synonym zu rassismusbetroffen verstanden.

Sklaverei

Sklaverei bezeichnet ein System, in dem Menschen vollständig entrechtet als Eigentum, insbesondere als Arbeitskraft, behandelt werden. Dieses System besteht seit der Antike, in der frühen Neuzeit wurde aber ein spezifisch europäisches Sklavenhandelssystem globalisiert. Das führte unter anderem zur Verbreitung der rassifizierten und sexistischen Klassengesellschaft Europas. Grundlage der frühneuzeitlichen Sklaverei bildeten die Sklavenschiffe, welche die globale Dimension des Handels erst ermöglichten, sowie die Plantagenwirtschaft in den Kolonien, wo die Arbeitskraft der versklavten Menschen ausgebeutet wurde. Ungefähr 12 Mio. Menschen wurden von Afrika in die Amerikas verschleppt, ungefähr 5 Mio. überlebten die Deportation nicht. Im ökonomischen Kalkül der Schiffs-, Ressourcen- und Plantagenbesitzer spielte das keine Rolle, solange ihr Geschäft lukrativ genug blieb. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts bildete sich, vor allem in Grossbritannien, eine abolitionistische Bewegung, welche die Abschaffung der Sklaverei forderte und nach und nach deren Verbot erreichte. Freilich ging die Ausbeutung der Arbeitskräfte auch nach Abschaffung der Sklaverei weiter. In den Amerikas, insbesondere den USA unter Entwicklung eines aggressiven Anti-Schwarzen-Rassismus.

Staatsrassismus

Die Entwicklung jedes Staats begleitet eine Ideologie der Nation. Im Grunde genommen bedeutet Nation ein mehr oder weniger definiertes Bündel an Essenzen, welche die Bevölkerung zu mehr macht, als einem Haufen, der durch einen Staatsvertrag aneinander gebunden ist. In der Schweiz besonders prominent ist der Begriff der «Eidgenossen», aber nur schon beim Singen der Nationalhymne soll man angeblich «echte Schweizer» erkennen. Aber all das Konstruierte und Erfundene der Nation beeinflusst als Ideologie die Gesetze, die der Staat erlässt. Und da die Nation sich dialektisch vom «Fremden» abheben und gegen andere abgrenzen muss, sind auch staatliche Gesetze, Gerichte und Praktiken von Fremdenabwehr durchzogen. Historisch unterschiedlich, aber strukturell notwendigerweise sind Migrations- und Asylgesetze, Urteilssprüche oder die Polizei von Rassismus durchzogen.

Struktureller Rassismus

Mit dem Begriff des strukturellen Rassismus wird betont, dass Rassismus nicht einfach von Individuen ausgeht, die bestimmte Gruppen diskriminieren, und Rassismus also «gelöst» werden kann, würde nur genug an der individuellen Einstellung gearbeitet, z.B. durch Bildungsangebote. Rassismus ist an die Klassengesellschaft gebunden. Antirassismus besteht deshalb auch, aber nicht nur aus Arbeit am Bewusstsein, sondern auch aus Arbeit am Sein, das bedeutet, Antirassismus zielt auf die Überwindung der strukturellen, ausbeuterischen Verhältnisse der Klassengesellschaft.

Söldnerwesen

Als Söldner werden Personen bezeichnet, die vertraglich und gegen (nur teilweise erfolgte) Bezahlung in fremden Diensten kämpfen. Der Einsatz von Schweizer Söldnern in europäischen Heeren war bis ins 19. Jahrhundert hinein weit verbreitet. Für einzelne Städte, wie beispielsweise Luzern, war Söldnerhandel das Kerngeschäft und Grundlage des Wohlstands. Trotz Verboten und Einschränkungen in der neuen Bundesverfassung von 1848 blieb der individuelle Solddienst bis 1927 erlaubt. So dienten Schweizer bis ins 20. Jahrhundert insbesondere in ausländischen Kolonialarmeen, wie der Fremdenlegion oder der niederländischen Kolonialarmee.

Transatlantischer «Dreieckshandel»

Im sogenannten transatlantischen Dreieckshandel fuhren europäische Schiffe mit Waren an die Küste Westafrikas, um dort Handelsgüter gegen Menschen einzutauschen. Diese wurden entrechtet und versklavt, nach Amerika verschifft und verkauft. Von dort aus fuhren die Schiffe nach Europa zurück, beladen mit kolonialen Produkten der Plantagenwirtschaft wie Zucker, Kaffee oder Baumwolle. Der Begriff «Dreieckshandel» wurde in den vergangenen Jahren kritisiert, weil er die Handelsdynamiken vereinfacht. Die Routen der Schiffe verliefen oft nicht exakt entlang dieses Dreiecks. Der Begriff ist trotzdem nützlich, da er die übergeordnete Dynamik verständlich macht.

LMNOP

Mission

Der Auftrag, andere Menschen zum christlichen Glauben zu bekehren, findet sich bereits in der Bibel. Mit der kolonialen Expansion erstreckte sich dieser nun auch auf überseeische Gebiete und die dort lebenden Menschen. Die Mission lieferte den Kolonialmächten eine moralische Legitimation für die Beherrschung anderer Bevölkerungsgruppen: Die Unterwerfung konnte als Befreiung, Erziehung und Errettung «heidnischer» Menschen dargestellt werden. In den letzten Jahren wird die Missionsgeschichte zunehmend aufgearbeitet. In diesem Zug werden immer mehr Missbräuche und systematische Gewalt aufgedeckt. Immer klarer werden so die Taten, die im Namen des christlich Guten begangen wurden. Die Bezeichnung "Verbrechen" trifft nur nicht zu, weil noch kaum jemand vor Gericht verurteilt wurde.

«N_ / N****»

Das Wort ist eine Ableitung vom lateinischen Begriff «niger», was «schwarz» bedeutet. In der deutschen Sprache kann dieses Wort nie neutral verwendet werden, da es sich um eine entmenschlichende Beleidigung mit einer spezifischen Geschichte handelt. Diese ist eng mit den Rassentheorien im 18. Jahrhundert verflochten, die dem Kolonialismus, der Sklaverei und der Rassentrennung die rechtfertigende Grundlage boten: Die Einteilung der Menschheit in verschiedene, als unterschiedlich hoch gewertete «Rassen». Die Verwendung des Begriffs «N_» für Schwarze Menschen diente der Aufrechterhaltung der Vormachtstellung von Europäer:innen gegenüber kolonisierten und versklavten Menschen. Die Verwendung des Schimpfwortes kann heute auch strafrechtliche Folgen haben. Die Abkürzung durch «N-Wort», «N_» oder «N****» sind sprachliche Mittel, um den rassistischen Gehalt hervorzuheben.

Othering

Othering bezeichnet die Herstellung und Verfestigung der eigenen kollektiven Identität durch Schaffung eines anderen Kollektivs: Umso weniger das "Wir" aus dem hervorgeht, was das "Wir" ist, umso mehr geht es aus der Abgrenzung gegen andere Gruppen hervor. Othering ist vielfältig, bedient aber stets die Dialektik von Normalität. Denn gerade "Normalität"zeichnet sich dadurch aus, keinen Marker, keinen Begriff zu haben. Alle wissen, was normal ist, können es aber nur schwer benennen. Normalität ist eine - scheinbar - neutrale Zone. Es ist viel einfacher, Normalität darüber zu definieren, was nicht normal ist. Daraus geht ein Machtverhältnis hervor, denn wer Normalität erfolgreich für sich beansprucht, indem er sie und sich gegen andere abgrenzt, ist in einer privilegierten Position.

Positivismus

Unter Positivismus versteht man eine bestimmte Methode, um Wissen zu gewinnen, das als «wahr» verstanden wird. Wahrheit ist gemäss dieser Methode auf sinnlich Wahrnehmbares, eben «positiv» Vorhandenes zurückzuführen. Wissensgeschichtlich hielt der Positivismus mit den aufgeklärten Naturwissenschaften Einzug in die Methoden des Erkenntnisgewinns. Problematisch am Positivismus ist das einseitige Verhältnis, das er zwischen der wahrnehmbaren Welt und der vermittelnden Sprache aufstellt. Die Welt ist der Bezugspunkt, die Sprache bildet nur ab, was in der Welt gefunden wird. Was intuitiv einleuchtet, war seit Beginn der positivistischen Wissenschaft ein Mittel der Herrschaft. Frühe rassistische und sexistische Diskriminierungen beruhten oft auf positivistischen Wissenschaftserkenntnissen. Indem er den Begriff und das, was mit dem Begriff bezeichnet wird, in eins fallen lässt, strebt der Positivismus nach einer starren, endgültig geordneten Welt, die symbolisch durch die Macht des Wortes beherrscht werden kann. Das methodische Gegenstück des Erkenntnisgewinns ist die Dialektik, die (und hier sieht man schon die Ambivalenz europäischer Wissensgeschichte) ebenfalls aus der Aufklärung hervorging und im Marxismus wohl ihre schärfste Anwendung fand.

Postkolonialismus / postkolonial

Die Begriffe Postkolonialismus und postkolonial benennen die Kontinuität einzelner Kolonialismen über die Zeit der offiziellen Kolonialregimes hinaus. Das Präfix «post-» bedeutet in Bezug auf den Kolonialismus demnach «zeitlich nachfolgend», aber auch «zeitlich darüber hinausreichend» und schliesst die gesamte Gesellschaft ein; also inwiefern in Politik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft Eigenschaften des Kolonialismus bis heute weiter existieren. Der globalen Dimension des Kolonialismus entsprechend, nimmt Postkolonialismus eine globalgeschichtliche Perspektive ein. Damit soll die Macht einer eurozentristischen Geschichtsschreibung unterwandert werden, und die postkoloniale Analyse von Staaten ermöglichen, die nie Kolonien besassen.

UVW

Weiss

Bei dem Begriff weiss handelt es sich nicht um eine Selbstbezeichnung, sondern um eine Position im rassistischen System. Die Position der Norm erhält ihre Macht dadurch, dass sie nicht ausgesprochen werden muss. Die explizite Bezeichnung dieser Position als weiss, untergräbt diese Macht und macht sie transparent. Daher rührt wohl auch das Unbehagen von weissen Menschen mit dem Begriff; sie werden aus ihrer bisher wortlosen Machtposition gestossen und fühlen sich in ihrer privilegierten Unsichtbarkeit ertappt. Weisssein bedeutet auch das Privileg, keine Rassismuserfahrung zu machen. Die unsichtbare Position im rassistischen System ermöglicht leichtere Zugänge zu Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt, Gesundheitsversorgung und politischer Teilnahme als dies rassifizierte Menschen haben. Um zu betonen, dass es sich nicht um eine Hautfarbe handelt, wird weiss kursiv geschrieben.

XYZ

Z-Wort

Das Z-Wort ist eine von Klischees überzogene Fremdbezeichnung, die von den damit Bezeichneten als diskriminierend abgelehnt wird. Bürgerrechtsbewegungen gegen die Entrechtung der sogenannten «Zigeuner» geben als Selbstbezeichnung Sinti*zze, Rom*nja und Jenische vor. Es gibt einzelne jenische Personen, die «Zigeuner» für sich nutzen.
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