Baselstrasse 3:
Die Kaffeerösterei Hochstrasser
Die koloniale Geschichte des Kaffees ist geprägt von einer komplexen Verflechtung von Herrschaft, Handel und kulturellem Wandel. Schweizer Unternehmen waren und sind wichtige Akteur:innen bei der Produktion, dem Handel und der Vermarktung von Kaffee. Kaffee ist ein koloniales Produkt par excellence. Seine gewaltvollen Spuren hat es auf der ganzen Welt hinterlassen – auch an der Baselstrasse 3 in Luzern.
Der Ursprung des Kaffees liegt in Äthiopien, von wo er auf die arabische Halbinsel gelangte. Im 17. Jahrhundert wurde Kaffee in Europa populär. In europäischen Städten entstanden Kaffeehäuser, die wichtige Orte des gesellschaftlichen Austauschs wurden. Um die steigende Nachfrage zu bedienen, suchten die Kolonialmächte nach neuen Anbaugebieten. So entstanden vor allem in Lateinamerika und der Karibik grosse Kaffeeplantagen.
Kolonialismus
Das lateinische Wort «colonia» bedeutet Niederlassung: Als Kolonialismus wird die Politik der Inbesitznahme ferner Gebiete verstanden. Historisch unvergleichlich bedeutsam war der Kolonialismus europäischer Mächte zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Auslöser dieses Kolonialismus waren die hohen Profite, die mit Gewürzen, Farbstoffen, Gold und Sklav:innen erzielt werden konnte. Handelsmonopole in der vor allem innereuropäischen, aber auch aussereuropäischen Konkurrenz musste durch die Erschliessung und Beherrschung neuer Gebiete sichergestellt werden. Der Archipel an Häfen, Produktionsstätten und militärischen Anlagen bildet bis heute die Grundlage für die Beherrschung des globalen Handels. Des Weiteren führte die zunehmend kapitalistische Produktionsweise und die imperiale Kriegswirtschaft in Europa zu einer massenhaften Verelendung. Die Kolonien wurden als willkommene Emigrationsorte angesehen. Innenpolitisch konnten so systemische Probleme durch Expansion bewältigt, oder jedenfalls abgemildert werden.
Die Schweiz wurde bald ein Knotenpunkt im internationalen Handel mit Kaffee. Basler Kaufleute gehörten zu den ersten, die Kaffee nach Europa importierten. Im 18. Jahrhundert begannen schweizerische Händler, Kaffeebohnen aus den Kolonien zu importieren, insbesondere aus Haiti und später aus Brasilien. Die Nachfrage nach Kaffee war enorm, und die Schweiz entwickelte sich zu einem wichtigen Akteur im internationalen Kaffeehandel.
Transatlantischer Dreieckshandel
Im sogenannten transatlantischen Dreieckshandel fuhren europäische Schiffe mit Waren an die Küste Westafrikas, um dort Handelsgüter gegen Menschen einzutauschen. Diese wurden entrechtet und versklavt, nach Amerika verschifft und verkauft. Von dort aus fuhren die Schiffe nach Europa zurück, beladen mit kolonialen Produkten der Plantagenwirtschaft wie Zucker, Kaffee oder Baumwolle. Der Begriff «Dreieckshandel» wurde in den vergangenen Jahren kritisiert, weil er die Handelsdynamiken vereinfacht. Die Routen der Schiffe verliefen oft nicht exakt entlang dieses Dreiecks. Der Begriff ist trotzdem nützlich, da er die übergeordnete Dynamik verständlich macht.
Die Schattenseite dieser Geschichte liegt in der Tatsache, dass der Kaffeeanbau in den Kolonien meist auf Sklavenarbeit basierte. Die Plantagen in Haiti und Brasilien waren berüchtigt für ihre brutalen Arbeitsbedingungen, und unzählige Menschen verloren ihr Leben in diesem System. Die blutige Bilanz der Toten durch die koloniale Kaffeeproduktion wird auf 500'000 Menschen geschätzt. Die Schweiz profitierte von diesem Ausbeutungssystem, da sie eine bedeutende Rolle im Handel mit Kaffee spielte.
Sklaverei
Sklaverei bezeichnet ein System, in dem Menschen vollständig entrechtet als Eigentum, insbesondere als Arbeitskraft, behandelt werden. Dieses System besteht seit der Antike, in der frühen Neuzeit wurde aber ein spezifisch europäisches Sklavenhandelssystem globalisiert. Das führte unter anderem zur Verbreitung der rassifizierten und sexistischen Klassengesellschaft Europas. Grundlage der frühneuzeitlichen Sklaverei bildeten die Sklavenschiffe, welche die globale Dimension des Handels erst ermöglichten, sowie die Plantagenwirtschaft in den Kolonien, wo die Arbeitskraft der versklavten Menschen ausgebeutet wurde. Ungefähr 12 Mio. Menschen wurden von Afrika in die Amerikas verschleppt, ungefähr 5 Mio. überlebten die Deportation nicht. Im ökonomischen Kalkül der Schiffs-, Ressourcen- und Plantagenbesitzer spielte das keine Rolle, solange ihr Geschäft lukrativ genug blieb. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts bildete sich, vor allem in Grossbritannien, eine abolitionistische Bewegung, welche die Abschaffung der Sklaverei forderte und nach und nach deren Verbot erreichte. Freilich ging die Ausbeutung der Arbeitskräfte auch nach Abschaffung der Sklaverei weiter. In den Amerikas, insbesondere den USA unter Entwicklung eines aggressiven Anti-Schwarzen-Rassismus.
Ein weiterer Aspekt der kolonialen Geschichte von Kaffee ist die Ikonografie und Sprache, die auch in der Schweiz verwendet wurde. Werbung für Kaffee und Schokolade verwendete oft rassistische Darstellungen von «exotischen» Menschen, was heute als völlig inakzeptabel angesehen wird. So trug die Schweiz, wie viele andere Länder auch, zur Verbreitung von rassistischen und kolonialistischen Stereotypen und Vorurteilen bei, die bis heute nachwirken.
Exotismus/ Exotisierung
Exotismus bezeichnet ein Bündel an sprachlichen und epistemischen Projektionen eigener Entfremdung in ein «Anderes», das nicht als Teil der eigenen Zivilisation wahrgenommen wird. Eine der wichtigsten Projektionen ist die romantisierte Naturverbundenheit von Gesellschaften des globalen Südens. Per «Othering» wird eine zivilisatorische Differenz zwischen globalem Norden und Süden behauptet, worin die Entfremdung zur Natur in der bürgerlich-kapitalistischen Zivilisation in ihr Gegenteil verkehrt und vermeintlich besonders unverdorbenen, naturverbundenen «Völkern» zugeschrieben wird. Die historisch wohl prägendste Figur ist der «edle Wilde». Andere zentrale Projektionen sind die Verkehrung der bürgerlichen Prüderie in die Schwarze Frau als Naturschönheit sowie die sexuelle Potenz und Triebhaftigkeit des «Anderen». Eine solche Exotisierung kehrt heute - als negative Projektion - unter anderem in der rassistischen Hetze gegen Geflüchtete wieder. Unter der pseudofeministischen Vorgabe, weisse Frauen vor sexuellen Übergriffen zu schützen, wird gegen vermeintlich triebgesteuerte Nicht-Europäer und für repressive Migrationspraxis Stimmung gemacht.
So war auf dem damaligen Lagerhaus der Kaffeerösterei Hochstrasser an der Baselstrasse 3 eine solche exotisierende, rassistische und kolonialistische Karikatur einer Schwarzen Person zu sehen: Nur mit einer Lendenschürze bekleidet und mit schwulstigen Lippen und Ohrringen serviert die als «N*-Wort-li» bezeichnete Figur den Schweizer Konsument:innen einen Kaffee. «N*-Wort-li ganz fein» hiess nämlich auch die erste eigene Mischung, die Hochstrasser seit ihrer Gründung 1852 mit dieser Darstellung verkaufte. Ein «exotisiertes» Schwarzes Mädchen wurde zudem als Logo der Rösterei Hochstrasser benutzt. Bis in die 1990er-Jahre war zudem das Profil einer Schwarzen Frau auf dem Briefpapier und den Lieferwagen zu sehen.
«N_ / N****»
Das Wort ist eine Ableitung vom lateinischen Begriff «niger», was «schwarz» bedeutet. In der deutschen Sprache kann dieses Wort nie neutral verwendet werden, da es sich um eine pauschal entmenschlichende Beleidigung mit einer ganz spezifischen Geschichte handelt. Diese ist eng mit den Rassentheorien im 18. Jahrhundert verflochten, die dem Kolonialismus, der Sklaverei und der Rassentrennung die rechtfertigende Grundlage boten: Die Einteilung der Menschheit in verschiedene, als unterschiedlich hoch gewertete «Rassen». Die Verwendung des Begriffs N_ für Schwarze Menschen diente der Aufrechterhaltung der Vormachtstellung von Europäer:innen gegenüber kolonisierten und versklavten Menschen. Die Verwendung des Schimpfwortes kann heute strafrechtliche Folgen haben. Die Abkürzung durch «N_» oder «N****» sind sprachliche Mittel, um den rassistischen Gehalt hervorzuheben.
1972 zog Hochstrasser von der Baselstrasse nach Littau. Das Wandbild verschwand aber erst Anfang der 2000er-Jahre, als es vom neuen Besitzer zu Werbezwecken übermalt worden ist. Auch erst zu Beginn der 2000er Jahre verzichtete Hochstrasser auf das stereotype Bild als Logo. Die Kaffeemischung behielt aber den Namen bei, da es nach wie vor die Lieblingsmischung der Kund:innen sei. «N*-Wort-li ist die traditionelle Kaffeemischung aus dem Hause Hochstrasser. Diese Mischung besteht seit der Firmengründung 1852 am Baseltor in Luzern», hiess es noch im Jahre 2012 auf der Website der Kaffeerösterei Hochstrasser. Im selben Jahr trennte sich Hochstrasser dann aber vom Namen. Seither heisst die Mischung schlicht «Lozärner Huuskafi».
Soviel zur Verpackung und ihrer (post-)kolonialen Vergangenheit. Doch wie sieht es mit den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen in der Kaffeeproduktion aus? «Auf die Entlöhnung der Kaffeepflücker haben wir keinen Einfluss», sagte der damalige Geschäftsführer der Firma Hochstrasser.
Postkolonialismus/ postkolonial
Die Begriffe Postkolonialismus und postkolonial benennen die Kontinuität einzelner Kolonialismen über die Zeit der offiziellen Kolonialregime hinaus. Das Präfix «post-» bedeutet in Bezug auf den Kolonialismus demnach «zeitlich nachfolgend», aber auch «zeitlich darüber hinausreichend» und schliesst die gesamte Gesellschaft ein; also inwiefern in Politik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft Eigenschaften des Kolonialismus bis heute weiter existieren. Der globalen Dimension des Kolonialismus entsprechend, nimmt Postkolonialismus eine globalgeschichtliche Perspektive ein. Damit soll die Macht einer eurozentristischen Geschichtsschreibung unterwandert werden, und die postkoloniale Analyse von Staaten ermöglichen, die nie Kolonien besassen.
Und die Baselstrasse 3? Im Rahmen einer Zwischennutzung fertigte der Street-Art-Künstler «Sir Taki» für eine Galerie das überlebensgrosse Wandbild «Theresa» an. Das Bild zeigte eine Schwarze Frau mit Afrofrisur und grossen roten Lippen. Von der Vorgeschichte des Hauses habe er nichts gewusst. Jedenfalls wurde die untere Hälfte des Wandbilds vom heutigen Nutzer der Baselstrasse 3 mit rosa Farbe überpinselt.
Die postkoloniale Geschichte des Kaffees in der Schweiz ist also von wirtschaftlichem Profit, kulturellem Wandel und moralischen Fragen geprägt. Sie erinnert daran, wie eng die Geschichte der Schweiz mit der globalen Geschichte verknüpft ist und wie wichtig es ist, sich mit den Schattenseiten dieser Vergangenheit auseinanderzusetzen, zumal durch die aneignende Überschreibung – oder Übermalung – der kolonialistischen und rassistischen Vergangenheit, diese unsichtbar gemacht wird, während die post- und neokolonialen Strukturen und Produktionsverhältnisse aufrechterhalten werden.
Quellen
Hinweis: Dieses Quellenverzeichnis enthält problematische Begriffe. Pirmin Bossart, «Makkaronifresser und Negerli», in: Luzerner Zeitung, 27. Juli 2000 Inge Staub, Mit neuem Röster topmodern, in: Luzerner Zeitung, 4. Oktober 2002 Claudia Imfeld, Koloniales Zürich, in: Tages-Anzeiger, 17. Februar 2012 Jérome Martinu, «Negerli-Kafi» wird umgetauft, in: Luzerner Zeitung, 10. August 2012 Felix Burch, «Negerli»-Kaffee verschwindet definitiv, in: 20 Minuten, 13. August 2012 Delf Bucher, Wie das «Negerli ganz fein» Kolonialgeschichten erzählt, in: zentralplus, 31. Juli 2020 Salome Erni, Ein rassistischer Slogan aus der Kolonialzeit – und die bunte Realität der heutigen Baselstrasse, in: Luzerner Zeitung, 25. Oktober 2021