Jesuitenkirche
Hast du schon einmal auf die Statue über dem Eingangsportal der Jesuitenkirche geachtet? Dort thront der heilige Franz Xaver, einer der einflussreichsten katholischen Missionare. Er ist Patron der Kirche und der Stadt Luzern. Wie Franz Xaver zu all diesen Ehren und an die Fassade der Jesuitenkirche kam, ist eine Geschichte, die rund 500 Jahre zurückliegt und uns von Luzern über Indien bis nach China und wieder zurück führt.
Im 15. und 16. Jahrhundert verbreiteten sich in der Schweiz die ersten Bewegungen der Reformation. Viele Gemeinden in der Schweiz, darunter beispielsweise die Städte Zürich und Genf, wandten sich von der Hoheit der katholischen Kirche ab. Diese reagierte darauf mit der Gegenreformation, aus der unter anderem der konservative Jesuitenorden hervorging. Franz Xaver war einer seiner Mitgründer.
Die Stadt Luzern wurde bald zum Zentrum der Gegenreformation in der Schweiz. Sie betrieb mit dem Jesuitengymnasium die wichtigste Ausbildungsstätte katholischer Eliten und widmete dem Orden die 1677 fertiggestellte Kirche, eben die Jesuitenkirche. Dabei wurde Franz Xaver zum Kirchenpatron und Stadtheiligen ernannt.
Biographisch hatte der in Navarra geborene und in China gestorbene Xaver mit Luzern nichts zu tun. Wieso also wählte die Stadt ausgerechnet ihn aus? Tatsächlich ist diese Wahl eng mit dem europäischen Kolonialismus verbunden.
Portugal eroberte im 16. Jahrhundert die Handelshoheit über den indischen Ozean. Die damals grösste Seemacht der Welt machte Profit mit dem Gewürzhandel nach Europa und dem Sklavenhandel in die Amerikas. Die katholische Kirche war in den portugiesischen Kolonien missionarisch tätig. Diese Missionen wurden von Franz Xaver im Auftrag des Papstes geleitet.
Mission
Der Auftrag, andere Menschen zum christlichen Glauben zu bekehren, findet sich bereits in der Bibel. Mit der kolonialen Expansion erstreckte sich dieser nun auch auf überseeische Gebiete und die dort lebenden Menschen. Die Mission lieferte den Kolonialmächten eine moralische Legitimation für die Beherrschung anderer Bevölkerungsgruppen: Die Unterwerfung konnte als Befreiung, Erziehung und Errettung «heidnischer» Menschen dargestellt werden. In den letzten Jahren wird die Missionsgeschichte zunehmend aufgearbeitet. In diesem Zug werden immer mehr Missbräuche und systematische Gewalt aufgedeckt. Immer klarer werden so die Taten, die im Namen des christlich Guten begangen wurden. Die Bezeichnung "Verbrechen" trifft nur nicht zu, weil noch kaum jemand vor Gericht verurteilt wurde.
Die Kirche verfolgte einerseits selber das Ziel, zu einer weltumspannenden Religion zu werden. Andererseits lieferte die Mission eine willkommene Legitimation der Gewalt, die zur Erreichung dieses Ziels nötig war. Sie verbreitete die Vorstellung, dass nur die Taufe den Menschen das Seelenheil bringen kann. Selbst wenn sie versklavt oder unter koloniale Herrschaft unterworfen würden, ginge es den Menschen als Christen immer noch besser, als wenn ihnen die ewige Verdammnis drohte. Die katholische Kirche sah sich an der Spitze der Zivilisation, mit dem Recht, ja sogar der Pflicht, alle Heiden zu bekehren.
Heidnisch
Als «heidnisch» wurden aus christlicher Perspektive Menschen bezeichnet, die nicht einer monotheistischen Religion angehörten. Der Begriff war immer abwertend. «Heidnische» Menschen galten als «primitiv», «wild» und «unzivilisiert».
Die erpresserische Gewalt, die im Zusammenwirken von Mission und Militär angewandt wurde, kann exemplarisch am spanischen «Requermiento» gezeigt werden. Diese Mahnung wurde lange Zeit beim Erstkontakt mit indigenen Gesellschaften vorgelesen und beinhaltete unter anderem folgende Passage: «Wir werden euch nicht dazu zwingen, Christen zu werden. Wenn ihr es aber nicht tut, werde ich mit Gewalt gegen euch vorgehen, und ich werde euch mit Krieg überziehen, wo immer und wie immer ich es vermag.»
Wie seinen Briefen zu entnehmen ist, lehnte Franz Xaver derartige Gewalt ab. Deshalb suchte und fand er sanftere Methoden als viele seiner Zeitgenossen, um die Menschen zur Taufe zu bewegen. Beispielsweise versprach er sich davon, den Menschen zu helfen und ihnen finanzielle und soziale Vorteile anzubieten, eine nachhaltigere Wirkung als von gewaltsamer Unterwerfung. Doch auch er verzichtete nicht auf gewisse Formen von Gewalt. Beispielsweise nutzte Xaver die Empfänglichkeit von Kindern, um sie gegen die Götter ihrer Eltern aufzubringen. In einem Brief beschreibt er eine solche Szene: «Die Kinder packen den Götzen und sorgen, dass auch nicht ein Stäubchen von ihm mehr übrig bleibe; sie spucken auf die zermalmte Masse und trampeln darauf herum, ja sie treiben ihr Vernichtungswerk noch weiter, auf eine Art, die ich lieber nicht so ausführlich beschreiben will.»
Seine Methoden machten Xaver zu einem Vordenker postkolonialer Herrschaft: Direkte Gewalt wird möglichst vermieden, die eigenen Interessen aber unmissverständlich durchgesetzt. Von Mozambique und Tansania über Indien und Indonesien bis nach Japan und China bekehrte Xaver so zehntausende Menschen.
Diese Erfolge hinterliessen in Europa und den Kolonien aufgrund der scheinbar gewaltfreien Methoden grossen Eindruck. Franz Xaver wurde ungemein populär. Die Kirche erkannte in Xaver eine Figur, die das Christentum als eine weltweit beliebte und deshalb auch weltweit gewollte Religion überzeugend verkörperte.
Es erstaunt deshalb wenig, dass in heutigen Darstellungen von Franz Xaver genau dies hervorgehoben wird. Auf der Webseite der Jesuitenkirche wird er zum einsamen, sympathischen, aber erfolgreichen Helden stilisiert: Fast auf sich alleine gestellt, sei er zum «grössten Missionar der Christenheit seit Paulus» geworden. Zum Machtanspruch der Kirche, zu den erzwungenen Bekehrungen, oder darüber, dass die Mission von der Gewalt der Kolonisierung abhängig war und diese gleichzeitig legitimierte; dazu fällt kein Wort.
Eine historische Aufarbeitung, die Xavers Wirken aus allen Perspektiven anschaut und bewertet, ist dringend nötig: Wie erging es wohl den Bekehrten und Widerständigen in Mozambique, Indien, Indonesien und Japan? Was hätten sie über die Missionierung Franz Xavers und über seine bewaffneten Begleiter zu berichten gehabt?
Diese Fragen bleiben vorerst unbeantwortet. Sicher ist, dass dem Luzerner Stadtbild mit Franz Xavers Statue ein Bekenntnis zum christlichen Missionsbefehl erhalten bleibt. Zu Füssen des Missionars knien nämlich zwei Kinder. Eins mit Pfeil und Köcher als Zeichen einer unzivilisierten Kultur und eins am Beten als Zeichen der erfolgreichen Bekehrung. Seit Jahrhunderten und bis heute trägt die Fassade der Jesuitenkirche so die vermeintliche zivilisatorische Überlegenheit des Christentums zur Schau.
Quellen
Elisabeth Vitzthum, Die Briefe des Francisco de Xavier: 1542-1552, Kösel, München: 1950. Jonathan Wright, Die Jesuiten: Mythos, Macht Mission, Magnus, Essen: 2005. Webseite Jesuitenkirche, zul. abgerufen im August 2023: https://jesuitenkirche-luzern.ch/geschichte/ Franz Xaver Bischof: "Jesuiten", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS): https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011718/2011-01-13/, zul. aufgerufen im Oktober 2023. Beatrice Schumacher, Kleine Geschichte der Stadt Luzern, hier + jetzt, Baden: 2015.