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Kaiser Wilhelm II. und der Tourismus in Luzern

Ende Juni 2022 hat die Stadt Luzern 29 Influencer*innen aus über 20 Ländern eingeladen. Sie sollten auf ihren Social Media-Kanälen Werbung für die Tourismusstadt Luzern machen. Doch nicht nur heute muss sich Luzern vermarkten. Bereits im 19. Jahrhundert, als Luzern zur führenden Tourismusstadt der Schweiz wurde, war sie auf Werbung angewiesen. Hierfür gab es zum Beispiel Postkarten oder Reiseführer. Aber auch prominente Personen waren sehr gute Werbebotschafter*innen. Das zeigt die Geschichte des Besuchs des deutschen Kaiser Wilhelm II. und seiner Ehefrau Auguste Viktoria exemplarisch.

Station Schweizerhofquai
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1888 wird Wilhelm II. deutscher Kaiser. Er wird das Deutsche Reich bis 1918 regieren. Diese dreissig Jahre werden in der deutschen Geschichte auch als «Wilhelminische Epoche» bezeichnet – ein Mann also, so einflussreich, dass eine Zeit nach ihm benannt wird. Kaiser Wilhelm II. möchte, dass das Deutsche Reich zu einer führenden imperialen Kolonialmacht wird. Ab Mitte der 1880er Jahre entstanden die Kolonien Kamerun, Togo, Deutsch-Südwest- und Deutsch-Ostafrika. In Asien wurden das heutige Papua-Neuguinea und Gebiete in China sowie Inseln im Pazifik kolonialisiert.

Fünf Jahre nachdem Wilhelm II. Kaiser des Deutschen Reiches wurde, besuchte er 1893 zum ersten Mal offiziell die Schweiz. Auf der Rückreise von Rom nach Berlin reisten Wilhelm II., seine Frau, Kaiserin Auguste Viktoria, und ihr Hofstaat via Luzern. In Luzern wurde ein rund zweieinhalb stündiger Empfang im Hotel Schweizerhof geplant. Drei Bundesräte und weitere Personen aus Politik und Militär trafen das Kaiserehepaar auf ein Mittagessen. Kaiser Wilhelm II. betonte in seiner kurzen Ansprache die Wichtigkeit der handelspolitischen Beziehungen der beiden Staaten. Der Schweizer Bundespräsident Schenk hingegen bekräftige in seinem Toast die guten Beziehungen zwischen der Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich. Der Rahmen scheint freundschaftlich gewesen zu sein. Die NZZ berichtete über das Treffen: «Unser Volk weiss es zu schätzen, dass es an dem Herrscher des mächtigsten Staates Europas einen wahren Freund hat.»

Das Interesse am Kaiserbesuch war also gross und vielfältig. Für den Bundesrat standen die freundschaftliche Beziehung und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem nördlichen Nachbarn im Vordergrund. Doch was bedeutete dieser Besuch für Luzern? 

Für den kaiserlichen Besuch hatte sich Luzern herausgeputzt: der Bahnhof, im Jahr 1893 ein provinzielles Holzgebäude, wurde mit Pappmaché verziert, um pompöser zu erscheinen. Aber nicht nur der Bahnhof wurde geschmückt: die Seebrücke, der Schweizerhofquai sowie das Hotel Schweizerhof selbst wurden mit Girlanden zugedeckt. In den Tagen vor dem offiziellen Besuch hatte man bis in die Nacht hinein die Stadt geschmückt. Da Wilhelm und Auguste Viktoria mit dem Schiff anreisten, wurde am Schweizerhofquai auch extra ein Schiffssteg gebaut. Dieser stand ziemlich genau da, wo auch heute noch eine kleine Balustrade mit Säulen und Treppen vom Quai in den See führt.

Und die Kulisse der Stadt Luzern verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Berner Zeitung Bund schrieb: «Der herrliche See, die frisch ergrünten Ufer, die majestätischen Firnen strahlten in einem Lichtmeer herrlichsten Sonnenglanzes. […] So weit man den Quai ringsum überblicken konnte, drängte sich […] eine unermessliche Volksmenge.»

Das Berliner Tagblatt berichtete nach dem Treffen: «Dazu stimmte der sonnige Maitag, verbunden mit der holden Natur Luzern, die Gemüther weich. Wer hätte kühl und kalt bleiben können, als der kaiserliche Dampfer auf stillem, blauem See majestätisch sich dem Lande näherte. […] Der Kaiserbesuch ist für die Schweiz ein Akt von politischer Bedeutung.»

Doch nicht nur in Berlin, sondern auch in der «Neue Freie Presse» aus Wien wurden die Vorzüge und Schönheit von Luzern hervorgehoben: «Die bunte Beflaggung, hinter welchem sich die lange Kette der junggrünen blühenden Kastanien-Alleen zieht, gewährt, vom See aus gesehen, ein prächtiges  Farbenbild. […] Die imposanten Verhältnisse der umgebenden Gebirgswelt, wie überhaupt die Grossartigkeit der Gegend, in welche Luzern, diese Metropole des Schweizerischen Fremdenverkehres gestellt ist, legten der Leitung der Decorationen den Gedanken nahe, die zu verwendenden künstlichen Decorationsmittel entsprechend monumental zu halten.

Der Besuch war für Luzern ein voller Erfolg – vor allem für die Tourismusindustrie. Nicht ganz ernst wurde in der Presse auch von der «Kaiserstadt» Luzern berichtet. Die Natur rund um die Stadt Luzern hatte bereits ihren Ruf als Tourismusdestination erster Klasse begründet. Dank dem deutschen Kaiser Wilhelm II. wurde dieses Bild in die ganze Welt getragen. Presseberichte gab es in Paris, London und St. Petersburg. Überall las man über die Gastfreundschaft und die Schönheit von Luzern. Über 400 Presseberichte erschienen weltweit, als der Schweizer Bundesrat erstmals das deutsche Kaiserpaar traf. Der Kaiserbesuch kurbelte so den Tourismus, vor allem auch aus dem Deutschen Reich, weiter an.

Natürlich konnte der Bundesrat noch nicht wissen, dass das Deutsche Reich 1904 in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts begehen würde. Aber man dürfte in der Stadt Luzern verärgert gewesen sein, dass Wilhelm II. für seinen zweiten, noch mehr beachteten Besuch in der Schweiz nach Zürich reiste. Dies geschah 1912, wiederum war Politik und Militär eingeladen und über 100'000 Schweizer*innen wollten sich den Kaiserbesuch nicht entgehen lassen. Nur wenige Jahre lag da der Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika zurück.

Die Schweiz war also bemüht um gute Geschäfte und Kontakte zu den europäischen Kolonialmächten. Luzern bot hierfür den Rahmen und die Kulisse. Die Verschränkung mit den europäischen Kolonialmächten brachte der Stadt Luzern tourismustechnische Werbung.  

Die Schweiz besass keine Kolonien – und trotzdem beeinflusste der Kolonialismus ihre Geschichte und auch jene der Stadt Luzern.  

Imperialismus

Der Begriff bezeichnet die Politik und Praxis kapitalistischer Staaten, ihren Herrschafts- und Machtbereich immer mehr auszuweiten. Dies kann politische, militärische und/oder wirtschaftliche Kontrolle über Regionen und Bevölkerungsgruppen einschliessen.

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